Sonntag, 15. April 2012

Staatsbürgerkunde.


In Nordrhein-Westfalen wird am 13. Mai gewählt. Diverses politisches Personal führt sich nun wieder auf wie jeck, aus Berlin werden Hoffnungsträger und Watschenmänner importiert, um den antizipierten Wahlsieg der SPD möglichst elegant über die Bühne zu bringen und generell fällt mal wieder alles hintenüber - nicht zuletzt die deutsche Sprache. Die CDU wirbt mit Norbert Röttgen und einem Nachwuchs-Nachwuchswähler sowie den Worten "Politik aus den Augen eines Kindes." Unklar bleibt dabei, wer auf dem Foto das Kind sein soll.

Christian Lindner ist der Spitzenkandidat der FDP und es ist natürlich leicht, auf dieser Splitterpartei rumzuhacken. Das machen im Moment alle und es ist wohlfeil, den Karrieristen und Marktliberalismus-Stalinisten dieser Partei eins überzubraten, insbesondere ihren jüngeren Vertretern wie Lindner einer ist - die haben mit klassischem Liberalismus im Sinne von Bürgerrechten nun gar nichts mehr am Hut und propagieren stets zynisch den Markt als solchen. Aber nur bei Schlecker, nicht bei den Banken, selbstverständlich.

Ich habe mich nichtsdestotrotz staatsbürgerlich betätigt und mich einmal mit den Damen und Herren auseinandergesetzt, die momentan um meine Stimme buhlen. Bei Herrn Lindner fand ich ein interessantes biographisches Detail. Auf seiner Homepage schreibt er über sich:

"Nach dem Abitur habe ich als Hausmeister in einer Bildungsstätte Zivildienst geleistet. Ehrlich gesagt: Es war eine pragmatische Entscheidung, weil ich nur so mein Unternehmen weiterführen konnte. Gut, dass es durch die Aufhebung der Wehrpflicht solche Probleme nicht mehr gibt. Später habe ich dann auf die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer förmlich verzichtet und mich um die Aufnahme in die Laufbahn der Reserveoffiziere beworben. Wehrübungen und Ausbildung schlossen sich an. Heute bin ich Hauptmann der Reserve und eingeplant im Landeskommando Nordrhein-Westfalen."

Diese kargen Sätze verraten so einiges über den Charakter (?) dieses erfolgreichen Jungpolitikers, der sein windelweiches Verständnis von politischen Grundsätzen mit dem Mäntelchen der "Ehrlichkeit" versieht und das Ende der Wehrpflicht quasi rückwirkend für sich in Anspruch nimmt. Mehr noch: Das Gewissen ist also eine pragmatische Instanz, die im Zweifel dazu dient, die eigenen Geschäftsinteressen zu fördern (nebenbei: das Unternehmen war ein gescheitertes Internet-Start-Up) - und wenn es dann mit der Karriere weitergehen soll, ruft man einfach "War nur Spaß!" und bewirbt sich flugs um die Laufbahn als Reserveoffizier. Ein Pazifismusverdacht ist eben schlecht fürs Fortkommen und es ist verdammt mühselig, sich immer um die Frage "Habense gedient, junger Mann?" herumdrücken zu müssen. So konnte er sich guten Gewissens mit einem schneidigen "Lassen sie mich durch, ich bin Reserveoffizier!" Eintritt in die besseren Kreise errempeln und ungestört an dem feilen, was ihm schon nach dem Abitur das Wichtigste war: Seiner Karriere.

Wie glaubwürdig ein Mann in Bezug auf politische Inhalte sein kann, der bei der sehr politischen Frage nach Zivil- oder Kriegsdienst die Positionen innerhalb von wenigen Monaten lässig tauscht, überlasse ich dem Urteil meiner verehrten Mitwähler. Ich fürchte nur, Christian Lindner wird gar nicht verstehen, warum ich damit ein Problem habe - für ihn ist das alles so normal, dass er es sogar auf seiner Website schreibt.

Deshalb steht oben auch das Fragezeichen hinter dem Wort "Charakter".

2 Kommentare:

  1. Wieder was gelernt - daß man erst Zivildienst leisten/den Wehrdienst verweigern und dann trotzdem Reserve-Offizier werden konnte... Wußte ich nicht.

    Also, "gedient" in dem Sinne, als Soldat, Gefreiter usw. hat Herr Lindner nie - um dann nach irgendwelchen Wochenendkrieger-Lehrgängen gleich als Leutnant "von oben" einzusteigen?

    PS.: Für mich als alten Ostdeutschen ist sowas gleich doppelt undenkbar. Erst verweigern, dann plötzlich Reserve-Offz. - also Sachen gibt's.

    AntwortenLöschen
  2. Immerhin gibt der smarte Herr Lindner seinen wahren Geisteszustand auf seiner Webseite preis (man kann also hinterher nicht von "Wahlbetrug" reden!).
    Ich befürchte allerdings, daß einem großen Teil seiner Generation, das "Problem", welches "wir" mit seiner Einstellung haben, gar nicht versteht. Wer in einem eher unpolitisch und aufs eigene Vorwärtkommen ausgerichten Umfeld sozialisiert worden ist, findet die Bekenntnisse des jungen Herrn L. vermutlich völlig normal.

    ... wünsche also allerseits eine heitere Wahl in NRW ;-)
    M. ausm ewig-laubenpieprigen dicken B.

    AntwortenLöschen