Samstag, 20. Februar 2016

Wie man mit einem Lachs verreist



"Wen die geltende paradoxe Rechtslage zwingt, eine schwierige wirtschaftliche Lage dadurch zu lösen, daß er die Universität so schnell wie möglich abschließt, für den bieten sich zwei Lösungen an: 1. Eine vernünftige Summe investieren und sich die Arbeit von einem anderen schreiben zu lassen. 2. Eine an einer anderen Universität schon einige Jahre früher geschriebene Arbeit abschreiben (...)."

Dies ist ein Zitat von einem renommierten Professor, der seinen Studenten in einem kleinen Kompendium erklärt, wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt. Das Werk ist schon etwas älter und wurde eindeutig im Vor-Internet-Zeitalter verfasst (remember the Guttenberg-Galaxis?), zeigt durch Sätze wie den obigen jedoch, dass der Professor sich nicht im verstaubten Elefenbeinturm seiner Fakultät eingeschlossen hatte, sondern die (wirtschaftlichen) Nöte seiner Studenten durchaus ernst nahm. Und gleichzeitg mit gesundem Pragamatismus leise Kritik an den Gegebenheiten der moderen Massenuniversität übte.

Der Name des Professors ist Umberto Eco und das Buch ist heute noch erhältlich. Von einem deutschen Professor hat man solche Zeilen nie gelesen und auch wenn Eco im Nachgang zu dem Zitat feststellt, "es versteht sich, das die soeben gegebenen Ratschläge rechtswidrig sind", so ist dieser praktische Umgang mit der studentischen Realität ein Zeichen für seine Auffassung von Wissenschaft, die nie den sozialen und politischen Kontext aus den Augen verlieren sollte. Eco wußte, dass nicht die Studenten kriminell sind, die abschreiben oder betrügen, sondern jenes Uni-System, das die Rich Kids schamlos bevorzugte.

Diese Verbindung zum "realen" Leben, der Jetztzeit und dem politischen Scharfsinn hat man bei ihm immer gespürt, selbst wenn er von mittelalterlichen Ketzern schrieb, Comics analysierte oder in seinen "Streichholzbriefen" leise-ironisch das Italien des 20. Jahrhunderts kommentierte. Eco war ein Mann der Moderne, genauer: der Postmoderne, dessen universales Wissen stets schelmisch und nie angeberisch daherkam. Er warf permanent geistige Nebelkerzen, verbarg die umfassende Enzyklopädie seines Geistes in leicht zu lesenden Paperback-Blockbustern und lächelte nur gütig, wenn man versuchte, ihn festzulegen. In seinem Universum hatte alles mit allem zu tun, es gab unzählige verklausulierte Querverweise und sich überlagernde Meta-Ebenen.

"Der Name der Rose" beginnt mit dem simplen Satz "Natürlich, eine alte Handschrift.", doch was dann folgt, ist gar nicht simpel - und schon gar nicht eindeutig. Das Buch ist ein Geschichtstext, eine Detektivgeschichte und ein philosophisches Traktat, es treten Geistesgrößen, Schriftsteller und Scharlatane auf. Sherlock Holmes, Jorge Luis Borges, die Bibliothek von Alexandria und die Poetik des Aristoteles, die Frage, ob Jesus lachte, die Anfänge der Scholastik und selbst die Roten Brigaden - sie alle vereinen sich zu einem feurigen Rundumschlag, den man unmöglich mit einmaligem lesen erfassen kann. Und am Ende liegt alles in Trümmern.

Was hat man nicht alles hineingelesen in dieses Buch - eine wunderbar ironische Bestätigung für Ecos These vom lector in fabula, dem Leser, der das Buch erst erschaffe. Der Semiotiker Eco spielte immer mit den Erwartungen des Offensichtlichen, aber er war alles andere als oberflächlich. Ganz im Gegenteil: Je tiefer man in sein Universum eindrang, desto ungewisser wurden alle oberflächlichen Gewissheiten. Eco lockte einen als unterhaltsamer Flötenspieler in den Dschungel der Fakten und der Philosophie - und ließ einen am Ende mit den rauchenden Trümmern des bisherigen Weltbilds allein. Wer sich mit ihm beschäftigte, dem blieb eines nicht erspart: Denken. 

Bis man das merkte, hatte man sich aber schon köstlich amüsiert.

Ciao, Signore Eco!

Donnerstag, 11. Februar 2016

Derby-Sieger

Jetzt ist es passiert. In der aktuellen Ausgabe einer Fachzeitschrift für alte Autos finde ich einen lobenden Artikel über ihn: Den Volkswagen Derby der zweiten Serie, den meine damalige Freundin zum 18. Geburtstag bekommen hatte. Ihre Eltern hatten es gut gemeint und der Fahranfängerin in mühevoller Kleinarbeit ein leicht verunfalltes Exemplar dieses Rentertransporters wieder aufgebaut. Mit braunem Metallic-Lack. Mit braunen Sitzen. Mit ohne Glamour.

Auch in hellgrün hässlich: Der Derby.
Das war Ende der Achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Wir spotteten natürlich über das fäkalfarbene Anti-Spaßmobil mit seinem dürren Schaltstock (damals war das wirklich noch ein Stock!), seinem Innendesign im Stile einer billigen Schneider-Stereoanlage und dem seltsam hoch angeklebten Stufenheck, das aus dem knackigen Polo einen Traumwagen für Herrn Stubenrauch machte. Herr Stubenrauch war der lodenbehütete Hausmeister meiner Zivildiensteinrichtung, gefürchtet wegen seiner autoritären Art und seiner Mitgliedschaft in einem Kleingartenverein. Da hatten wir's: Kleingarten plus Kleinwagen gleich uncool hoch drei!

Und das soll jetzt alles auf einmal nicht mehr gelten? Besagte automobile Fachzeitschrift reiht den Derby nämlich ein in eine motorisierte Ahnenreihe, in der Ikonen wie Golf GTi oder Ford Granada ganz selbstverständlich vertreten sind. Und womit? Mit Recht. Weil sie kein Derby sind. 
 
Nur cool mit ATS-Felge: DAS war ein Auto, Herrschaften!
Gut, ich gebe zu, ich hatte auch meinen Derby-Moment. Damals, als mein Kadett C mit den schwarzen Rallyestreifen mal wieder, nun, sagen wir: unpässlich war. Er lief halt nicht. Ich musste jedoch dringend in eine rund 30 Kilometer entfernte Stadt und lieh mir zähneknirschend den braunen Derby meiner Freundin, auf dessen Beifahrersitz ich mich sonst nur mit hochgeschlagenem Mantelkragen und verspiegelter Sonnenbrille duckte. Sie gab mir gönnerhaft die Schlüssel und ich startete den Rasenmähermotor mit seinen bärigen 40 PS. Nie hat es eine unpassendere Kombination gegeben: Ein rauchender Typ mit "Youth of Today"-Shirt am Steuer dieses Vorstadt-Blumenkastens, und aus dem asthmatischen Cassettengerät dröhnt wild übersteuernd Ian Astbury über Andy Warhols Muse "Edie".
Ich hätte es damals natürlich nie zugegeben, aber der Derby fuhr sich, ähem, passabel. Er war eben ein Volkswagen - solide, unauffällig und störungsarm. Aber auch so aufregend wie der Vereinsabend der Kleingärtner. Deshalb erübrigte sich jede Diskussion: Dieses Auto würde nie auch nur in die Nähe des Begriffs 'cool' gelangen. Und genau das sagte ich meiner Freundin, als ich ihr die Schlüssel zurückgab.

2016 feiert man den Spießer-VW als standesgemäßen Oldtimer mit großem Fan-Potential. Herr Stubenrauch hat gesiegt. Mein Kadett ist längst verrostet und ich habe gute Freunde, die einen Kleingarten besitzen.
Aber deshalb kommt mir noch lange kein Derby in die Garage!

In der nächsten Folge: Warum auch der doppelt so große Bruder des Derby - der doppelt so öde VW Jetta - auf einmal hot sein soll...