Nein, es ist nicht alles schlecht. In der Straße mit den vielen Altbauten und den ordentlich aufgereihten Bäumen wohnen auch ganz normale Leute. Es ist allerdings wie überall und in vielen Lebensbereichen: Die Normalen sind möglicherweise sogar in der Mehrheit, aber da sie nicht auffallen, nimmt man nur die Extreme, die Ausschläge nach unten wahr. Die Vollpfosten prägen in ihrer rücksichtslosen, lautstarken, dummen Dauerpräsenz die Wahrnehmung viel stärker.
Die kleine türkische Schneiderin aus Antalya versteht ihr Handwerk sehr gut und war schon mehr als einmal meine Rettung vor den Fährnissen zerschlissener Kleidungsstücke, beim Verlust von Knöpfen oder bei der Anpassung von Kleidungsstücken an meine sich verändernde Physiognomie. Ich gehe gerne zu ihr, sie hat stets ein Lächeln parat, arbeitet sehr sorgfältig und mit stoischer Ruhe. Aber ich gebe zu, dass erst ihre Leuchtreklame mit dem Charme der selbstgeklebten Buchstaben und der eigenwilligen Orthographie mich in ihren stets mit Kleidungsstücken vollgestopften Laden lockte (siehe Foto). "Reinigung ist da bei" - das klingt doch wie der Schlachtruf in der hiesigen Frittenschmiede: "Kommt auf die Pommes noch wat bei?"
Einige verwandte schöngeistige Seelen starteten im letzten Jahr eine mutige Aktion, quasi das mikro-lokale Pendant zu "Unser Dorf soll schöner werden", indem sie rund um einen der wohlaufgereihten Bäume eine kleine, sehr ordentlich geharkte Fläche mit Kies aufschütteten und auf dieser Fläche zusätzlich Pflanzen ansiedelten. Ich war ganz begeistert von diesem stoischen Aufbegehren gegen den überall herumfliegenden Abfall aus McDonald's-Tüten und Jägermeisterflaschen. Aber es kam, wie es kommen musste: Nach wenigen Wochen hatten die Kachelcouchtischbesitzer mit ihren Hartz IV-Kampfhunden dieses kleine Refugium wieder in eine Kloake verwandelt, in der sich neben den Exkrementen der vierbeinigen Hooligans die ortsüblichen Reste eines gelungenen Wochenendes sammelten: McDonald's-Tüten und Jägermeisterflaschen.
Aber der Versuch zählt.